Medialität - über den physischen Körper hinausgehen

Egal, ob mit Jenseitskontakten oder in Trance – in der Medialität geht es darum, sich mit der geistigen Welt zu verbinden und dadurch Heilung und Trost zu bringen. Während spirituelle Texte theoretisch vom Leben nach dem Tod sprechen, ist die Erfahrung, wenn ein verstorbener Mensch tatsächlich mit uns kommuniziert, einzigartig und transformierend.

Kürzlich fragte mich ein ehemaliger Arbeitskollege, dem ich an einem Fest begegnete, was für eine Weiterbildung ich zurzeit mache. Ich überlege mir jeweils gut, mit wem ich über meine Arbeit als Medium spreche, denn das ist für mich ein kostbares Gut, ja ein heiliges Tun, das ich weder rechtfertigen mag noch ins Lächerliche gezogen sehen will.

Er erwischte mich jedoch auf dem falschen Fuss, weil die Frage so unerwartet kam. «Ich mache eine Weiterbildung in Medialität», sagte ich, und als er mich verständnislos anschaute: «Ich gebe Jenseitskontakte. Anders gesagt: Ich spreche mit Verstorbenen.» Also damit könne er gar nichts anfangen, erklärte er sofort, und schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich konnte die Gedanken in seinem Kopf rattern hören… ist das wirklich dieselbe Frau, die jahrelang über Aussenpolitik geschrieben hat?

Reaktionen wie diese sind häufig, wenn es um Medialität geht. Zwar gibt es inzwischen auch in der Schweiz verschiedene Ausbildungsschulen, doch im Gegensatz zu England oder den USA, wo die Spiritualisten eigenen Kirchen haben und Jenseitskontakte ein Teil des Gottesdienstes sind, ist Medialität bei uns immer noch wenig bekannt. Und Horror- oder Science-Fiction-Filme tragen nicht gerade dazu bei, das Verständnis und Verstehen zu fördern.

Adobe Stock, Olivier Roberts

Es drohte Gefängnis

Das Schlimmste, was mir passiert, wenn ich mich als Medium oute, ist, dass die Leute denken, ich hätte eine Schraube locker oder werde aufs Alter hin zu einer abgedrehten Eso-Tante. Mit beidem kann ich gut leben – besonders, wenn ich in die Geschichte des Spiritualismus schaue: Es ist noch gar nicht so lange her, dass Medien wegen ihrer «übernatürlichen» Fähigkeiten zu Geldstrafen verurteilt oder ins Gefängnis geworfen wurden.

Das bekannte britische Trance-Medium Annie Brittain (1880-1969) zum Beispiel wurde 1907 festgenommen und wegen Betruges und Wahrsagerei angeklagt. Der Fall – zwei Polizisten hatten ihre Ehefrauen für ein Reading zu ihr geschickt und sie hatte das Alter der verstorbenen Mutter falsch gesagt – war jedoch nicht stark genug und wurde fallengelassen. Einige Jahre später musste sie in einem ähnlichen Fall eine Busse von 5.5 Pfund Sterling sowie die Gerichtskosten bezahlen.

Das hielt sie jedoch nicht davon ab, weiter als Medium tätig zu sein. In den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts stiess der Spiritualismus auf grosses Interesse. Viele Menschen hatten im Ersten Weltkrieg und während der Spanischen Grippe von 1918 schmerzhafte Verluste erlitten und wollten von den geliebten Menschen hören, die oft weit weg und unter unklaren Umständen gestorben waren.

Wenn ein gutes Medium, das weder das Gegenüber kennt noch das Geringste über eine verstorbene Person wissen kann, diese bei einem Jenseitskontakt durchbringt und konkrete Beweise gibt für ihre Persönlichkeit und ihren Werdegang oder über gemeinsame Erinnerungen spricht, ist das sehr heilend und tröstlich.

Sir Arthur Conan Doyles Engagement

Annie Brittain, die schon als Kind Verstorbene gesehen hatte, ging bei einem Jenseitskontakt oft in eine tiefe Trance. So wurde es möglich, dass die verstorbene Person mit ihrer eigenen Stimme durch sie hindurch sprach und sie deren typische Gesten annahm, was für ihre Klient:innen ein berührender und starker Beweis für die Anwesenheit der Verstorbenen war.

Einer ihrer grössten Verehrer war Sir Arthur Conan Doyle, der Verfasser der Bücher über Sherlock Homes. Er hatte seinen Sohn in der Spanischen Grippe verloren und sein jüngerer Bruder starb im Ersten Weltkrieg. Annie Brittain brachte in Sitzungen mit Sir Arthur Conan Doyle beide Männer mehrmals durch, und gab Botschaften von ihnen, die ihn trösteten. Er wurde einem der führenden Verfechter des Spiritualismus, den er als «die wichtigste Sache der Welt» bezeichnete. Er schrieb auch ein Buch dazu: «The history of Spiritualism».

Trotz seiner Begeisterung und seinen persönlichen Erfahrungen konnte Sir Arthur Conan Doyle den bekannten amerikanischen Magier und Entfesslungskünstler Harry Houdini nicht überzeugen. Houdini, der am Anfang seiner Karriere selbst Séances durchgeführt hatte, kannte sich bestens mit den Tricks aus, die teilweise angewandt wurden, um das Publikum zu verblüffen. Er wollte deshalb unbedingt beweisen, dass alle Medien Schwindlerinnen und Betrüger sind und schrieb ein Buch darüber, «A magician among the Spirits».

Keine Frage – es gab sie und es wird sie immer geben, Leute, die behaupten, mit der geistigen Welt zu kommunizieren oder Wunder zu vollbringen, und in Tat und Wahrheit tief in die Trickkiste greifen. Doch es gibt eben auch die anderen, die tatsächlich eine starke und innige Verbindung mit der geistigen Welt aufbauen und zutiefst berührende Durchsagen und Prophezeiungen geben.

Das Herz berühren

Dabei geht es nicht darum, was wir mit unseren Augen sehen oder mit unserem Verstand analysieren, sondern vielmehr darum, was wir in einem solchen Moment fühlen. Wenn die geistige Welt wirklich präsent ist, ist die Energie und bedingungslose Liebe so stark, dass oft Tränen fliessen und es keinen Zweifel mehr gibt, dass es nach dem Tod weitergeht. Doch: «Wir können nur das erleben, woran wir glauben. Wenn wir etwas nicht glauben, erleben wir es nicht», sagte die geistige Welt einmal durch eines der aussergewöhnlichsten (Trance)Medien unserer Zeit, Eileen Davies.

Um noch einmal auf Annie Brittain zurückzukommen: Sie sagte der damals 14-jährigen Fanny Higginson voraus, dass sie einen Sohn haben werde, der zu einem der weltweit bekanntesten Medien heranwachsen werde. Gordon Higginson (1918-1993), war tatsächlich ein herausragendes Medium und prägte und förderte viele der heute aktiven Medien als Lehrer und Mentor. Er war nicht nur langjähriger Präsident der Spiritualist Nation Union, sondern bis zu seinem Tod Direktor des Arthur Findlay Colleges ausserhalb Londons, das weltweit führende College zur Förderung des Spiritualismus und der psychischen Wissenschaften.

Egal, ob man sich für die Medialität in der Tradition der englischen Spiritualisten erwärmt oder nicht - Tatsache bleibt, dass wir alle mehr sind als unser physischer Körper. Davon spricht auch die Yogaphilosophie ausführlich. Yoga wird gerne als Vereinigung von Körper, Geist und Seele bezeichnet. So gesehen, ist es nur natürlich, dass wir uns mit dem Geist in uns und um uns herum verbinden können.

Wenn wir in die Menschheitsgeschichte schauen, begegnen wir ganz vielen Medien - man nannte sie nur anders: Heilige, Propheten, Mystikerinnen. Jesus sprach mit Gott, Mohammed mit Erzengel Gabriel. Die spanische Heilige Teresa von Avia (1515-1582) berichtete von ihren Engel-Visionen und Yogananda beschreibt in seinem Buch «Autobiografie eines Yogi», wie der Yogi Swami Pranabananda gleichzeitig an zwei Orten sein konnte.

In allen spirituellen Traditionen geht es um die Einheit, darum, dass alles miteinander verbunden ist. Wir kommen aus dem göttlichen Licht und kehren in das göttliche Licht zurück. Zu erkunden und zu erleben, was dazwischen ist, ist das Geschenk unseres Lebens.

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Spiritueller Minimalismus